Entdecke, welche genetischen Faktoren deine Fruchtbarkeit beeinflussen und welche Tests dir bei der Abklärung helfen können.
Key Facts
- Sowohl Männer und Frauen können von erblicher Unfruchtbarkeit betroffen sein
- Chromonsomenanomalien treten dabei am häufigsten auf
- Auch Genmutationen können die Fruchtbarkeit beeinflussen
- Bei wiederholten Fehlgeburten, ungeklärter Unfruchtbarkeit oder familiärer Vorbelastung wird ein Gentest empfohlen
- IVF, ICSI und PID bieten Möglichkeiten, auch bei genetisch bedingter Unfruchtbarkeit ein Kind zu bekommen
Ist Unfruchtbarkeit erblich?
Ja, Unfruchtbarkeit kann erblich sein. Schätzungsweise 30-50 % aller Fälle von unerfülltem Kinderwunsch ist auf genetische und/oder chromosomale Faktoren zurückzuführen. Chromosomenanomalien, Genmutationen und andere genetische Veränderungen können sowohl bei Männern als auch bei Frauen die Fruchtbarkeit beeinträchtigen.
In diesem Artikel erfährst du, wie Fruchtbarkeitsstörungen, Familiengeschichte und Genetik miteinander zusammenhängen und welche genetischen Erkrankungen eine Empfängnis erschweren können. Ausserdem erfährst du, wie Gentests funktionieren und wann sie sinnvoll sein können.
Genetische Ursachen der Unfruchtbarkeit
Genetische Störungen können den gesamten Reproduktionsprozess beeinträchtigen, von der Fruchtbarkeit der Eltern über die Einnistung des Embryos bis hin zur gesunden Entwicklung des Kindes. Sie können bei Männern und Frauen Unfruchtbarkeit verursachen, Fehlgeburten begünstigen und zu angeborenen Fehlbildungen führen.
In diesem Video erfährst du Dr. med. Katharina Rötzer erfährst du, was häufige genetische Ursachen bei Unfruchtbarkeit sein können:
Genetische Ursachen für weibliche Unfruchtbarkeit
Primäre Ovarialinsuffizienz (POI) betrifft 1 von 10.000 Frauen im Alter von 20 Jahren, 1 von 1.000 im Alter von 30 Jahren und 1 von 100 im Alter von 40 Jahren.
- Trisomie X: Bei der Trisomie X (einer Chromosomenanomalie oder Aneuploidie) sind drei Kopien des X-Chromosoms vorhanden statt der üblichen zwei. Diese Anomalie tritt bei 1 von 1’000 weiblichen Geburten auf und kann eine Ursache für primäre Ovarialinsuffizienz sein, wodurch Frauen vor dem 40. Lebensjahr keinen Eisprung mehr haben. Einige Frauen mit Trisomie X haben jedoch keine Schwierigkeiten, auf natürlichem Weg schwanger zu werden.
- Turner-Syndrom: Das Turner-Syndrom, auch bekannt als Monosomie X, ist eine genetische Erkrankung, die bei etwa 1 von 2#500 weiblichen Geburten auftritt. Sie wird durch einen zufälligen Fehler bei der Zellteilung verursacht, der dazu führt, dass betroffene Mädchen nur ein X-Chromosom haben. Es führt auch zu Reproduktionsproblemen wie Amenorrhoe (Ausbleiben der Periode) sowie Ovarialinsuffizienz.
- Fragiles X-Syndrom: Mutationen im FMR1-Gen, die mit dem Fragilen-X-Syndrom in Verbindung stehen, können die Eizellreifung beeinträchtigen und so zu primärer Ovarialinsuffizienz und damit zu Unfruchtbarkeit führen.
- Primäre Ovarialinsuffizienz (POI): Primäre Ovarialinsuffizienz (POI) führt dazu, dass Frauen vor dem 40. Lebensjahr keinen Eisprung mehr haben, was die Fruchtbarkeit stark beeinträchtigt. Neben dem FMR1-Gen spielen auch Gene wie BMP15 und NOBOX eine Rolle bei der Entstehung von POI.
- Vorzeitige Menopause: Ähnlich verhält es sich mit der vorzeitigen Menopause, die ebenfalls vor dem 40. Lebensjahr eintritt und genetische Ursachen haben kann. Mutationen in Genen wie BRCA1 und FSHB werden mit einem erhöhten Risiko für eine vorzeitige Menopause in Verbindung gebracht.
- Endometriose: Diese Erkrankung kann die Funktion der Eierstöcke und Eileiter beeinträchtigen. Während einige Kandidatengene identifiziert wurden, sind die spezifischen genetischen Ursachen weiterhin Gegenstand der Forschung. Frauen mit Endometriose haben ein 10-fach erhöhtes Risiko, dass ihre weiblichen Verwandten ersten Grades ebenfalls daran erkranken.
- Polyzystisches Ovarsyndrom (PCOS): Diese endokrine Störung ist durch Menstruationsstörungen, multiple Zysten an den Eierstöcken und Hirsutismus gekennzeichnet. PCOS tritt häufig familiär auf und ist mit Stoffwechselproblemen wie Fettleibigkeit und Typ-2-Diabetes verbunden. Obwohl noch keine spezifischen Gene identifiziert wurden, bleibt die Störung idiopathisch.
Genetische Ursachen für männliche Unfruchtbarkeit
Die häufigste genetische Ursache bei männlicher Unfruchtbarkeit ist das Kinefelter Syndom.
- Klinefelter-Syndrom: Diese Aneuploidie, bei der ein zusätzliches X-Chromosom vorhanden ist (XXY statt XY), äussert sich häufig in niedriger Testosteronproduktion und eingeschränkter oder fehlender Spermienproduktion. Früher galten Männer mit Klinefelter-Syndrom als zeugungsunfähig. Heute weiss man, dass bei etwa der Hälfte der Patienten noch Samenzellen im Hodengewebe gefunden werden können.
- Kallmann-Syndrom: Bei Männern mit Kallmann-Syndrom können die Geschlechtsorgane unterentwickelt sein, da die Pubertät verzögert oder ganz ausbleibt. Die Spermienproduktion ist aufgrund des fehlenden Gonadotropin-Releasing-Hormons (GnRH) stark reduziert oder nicht vorhanden.
- Mikrodeletionen des Y-Chromosoms: Hierbei fehlen kleine Teile des Y-Chromosoms, insbesondere in der AZF-Region (Azoospermiefaktor), was die Spermatogenese und damit die männliche Fruchtbarkeit stören kann.
- Zystische Fibrose: Zystische Fribrose (Mukoviszidose) ist eine rezessive Erbkrankheit. Das bedeutet, dass beide Elternteile Träger der CFTR-Genmutation sein müssen, damit ein Kind daran erkrankt. Bei den meisten Männern mit dieser Mutation sind die Samenleiter entweder nicht vorhanden oder blockiert. Dies führt dazu, dass keine Spermien in der Samenflüssigkeit vorhanden sind (obstruktive Azoospermie). Selbst wenn Samenleiter vorhanden sind, kann die Spermienqualität bei Männern mit Mukoviszidose beeinträchtigt sein.
- Sichelzellenanämie (SCD): Männer mit SCD haben häufig Spermienanomalien wie niedrige Spermienzahl und schlechte Beweglichkeit der Spermien. Eine Studie ergab, dass 91 % der männlichen SCD-Patienten vor der Behandlung mindestens einen anormalen Spermienparameter aufwiesen.
Welche Ursachen sind nicht genetisch bedingt?
Nicht genetische Ursachen bei beiden Partnern
- Hormonstörungen: Unausgeglichener Hormonhaushalt, wodurch der Eisprung, die Spermienproduktion oder die Einnistung der befruchteten Eizelle beeinträchtigt werden können, können zu Unfruchtbarkeit führen.
- Lebensstil: Faktoren wie Rauchen, übermässiger Alkoholkonsum, Drogenmissbrauch, ungesunde Ernährung, starkes Über- oder Untergewicht und mangelnde Bewegung können die Fruchtbarkeit negativ beeinflussen.
- Alter der Eltern: Die Fruchtbarkeit nimmt mit zunehmendem Alter ab, insbesondere bei Frauen ab 35 Jahren. Dies liegt an der abnehmenden Anzahl und Qualität der Eizellen. Auch bei Männern nimmt die Spermienqualität mit dem Alter ab.
- Umweltfaktoren: Die Exposition gegenüber bestimmten Umweltgiften, wie Pestiziden, Schwermetallen oder Strahlung, kann die Fruchtbarkeit beeinträchtigen.
Nicht genetische Ursachen bei Frauen
- Eileiterentzündungen (Salpingitis): Entzündungen der Eileiter, oft durch sexuell übertragbare Infektionen verursacht, können zu Vernarbungen und Verklebungen in den Eileitern führen, was den Transport der Eizelle behindert.
- Myome: Myome sind gutartige Muskelgeschwulste in der Gebärmutter, die je nach Lage und Grösse die Einnistung der Eizelle oder den Transport der Spermien beeinträchtigen können. Es gibt Hinweise darauf, dass Myome zumindest teilweise genetisch bedingt sein können, d.h. dass eine familiäre Veranlagung eine Rolle spielen kann.
- Operationen im Beckenbereich: Eingriffe im Bauchraum können zu Verwachsungen führen, die die Eileiter oder Eierstöcke beeinträchtigen.
- Chlamydien: Eine häufige sexuell übertragbare Infektion, die unbehandelt zu Eileiterentzündungen und Unfruchtbarkeit führen kann.
Nicht genetische Ursachen bei Männern
- Hodenhochstand
- Prostataentzündungen
- Krampfadern am Hoden (Varikozelen)
- Ejakulationsstörungen wie z.B. retrograde Ejakulation (Samenerguss in die Blase)
- Mumps
Warum ist es wichtig, die genetischen Ursachen der Unfruchtbarkeit zu verstehen?
Es wird angenommen, dass genetische Anomalien in vielen Fällen von Infertilität sowohl bei Männern, als auch bei Frauen eine wichtige Rolle spielen. Daher kann es sinnvoll sein, eine genetische Untersuchung, um das Genom zu untersuchen, insbesondere wenn es Hinweise auf eine genetische Störung gibt.
Bei Fehlgeburten oder ungeklärter Unfruchtbarkeit
Genetische Ursachen der Unfruchtbarkeit können auch dann eine Rolle spielen, wenn die Frau wiederholt Fehlgeburten erleidet oder unklar ist, warum ein Paar nicht schwanger werden kann. Wenn trotz umfassender Fruchtbarkeitsanalysen wie einem Hormontest, einem Spermiogramm und Ultraschall keine Ursache gefunden werden kann (idiopathische Sterilität), kann es sinnvoll sein, sich einem Gentest zu unterziehen.
Feststellung von Erbkrankheiten
Gentests können auch dazu beitragen, Erbkrankheiten zu erkennen, die an das Kind weitergegeben werden können. In Fällen, in denen eine Erkrankung in der Familie vorkommt, kann eine genetische Untersuchung der Partner empfohlen werden.
Beratung bei Kinderwunschbehandlungen
Darüber hinaus können Paare, die auf natürlichem Weg nicht schwanger werden könnten, mit Hilfe der modernen Reproduktionsmedizin schwanger werden. Eine künstliche Befruchtung wie die In-vitro-Fertilisation (IVF) und die intrazytoplasmatischen Spermieninjektion (ICSI) können die Chancen auf eine Schwangerschaft steigen. Wenn der Verdacht besteht, dass ein Gendefekt an das Kind weitergegeben werden könnte, kann das Paar eine ICSI mit anschliessender Präimplantationsdiagnostik (PID) durchführen lassen.
Genetischen Untersuchungen bei Kinderwunsch
Wenn ein Paar Schwierigkeiten hat, schwanger zu werden oder eine Schwangerschaft erfolgreich auszutragen, können genetische Untersuchungen wichtige Hinweise liefern. Diese umfassen sowohl genetische Tests als auch eine umfassende genetische Beratung, um die Ergebnisse zu interpretieren und die individuellen Implikationen zu verstehen.
- Chromosomenanalyse: Eines der wichtigsten Instrumente zur Beurteilung vermuteter oder potenzieller genetischer Probleme ist die Chromosomenanalyse (Karyotypisierung). Dabei werden Chromosomen aufgespürt, die beschädigt sind, fehlen oder zu viele sind. Dazu muss eine Blutprobe in einem Labor untersucht werden.
- Carrier Screening: Dieser Test Identifiziert, ob einer oder beide Partner Träger von Gendefekten sind, die an Kinder vererbt werden könnten. Besonders empfohlen wird er bei erhöhtem reproduktivem Alter, genetischen Erkrankungen in der Familie oder persönlicher medizinischer Vorgeschichte mit relevanten Erkrankungen.
Wann sind genetische Untersuchungen sinnvoll?
- Ungeklärte Unfruchtbarkeit
- Wiederholte Fehlgeburten
- Azoospermie
- Primäre Ovarialinsuffizienz
- Familiengeschichte
Was geschieht, wenn eine genetische Störung diagnostiziert wird?
Paare mit diagnostizierter genetischer Störung haben verschiedene Möglichkeiten, ihren Kinderwunsch zu erfüllen und gleichzeitig das Risiko der Weitergabe an ihre Nachkommen zu minimieren:
- In-vitro-Fertilisation (IVF): Bei der IVF werden Eizellen der Frau im Labor mit Spermien des Mannes befruchtet. Die befruchteten Eizellen (Embryonen) werden dann in die Gebärmutter eingesetzt. Im Zusammenhang mit genetischen Störungen kann die IVF gegenüber der ICSI vorteilhaft sein, da die natürlichste Selektion der Spermien erfolgt.
- Intrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI): Bei der ICSI wird ein einzelnes Spermium direkt in eine Eizelle injiziert. Diese Methode kann bei männlicher Unfruchtbarkeit erforderlich sein.
- Präimplantationsdiagnostik (PID): Sowohl bei IVF als auch ICSI kann die PID eingesetzt werden. Dabei werden Embryonen vor dem Transfer in die Gebärmutter auf genetische Störungen untersucht. Nur Embryonen ohne die betreffende Störung werden eingesetzt.
Fazit
Chromosomenanomalien und Genmutationen spielen bei rund der Hälfte aller Fälle von Unfruchtbarkeit eine entscheidende Rolle. Sowohl männliche als auch weibliche Unfruchtbarkeit kann genetische Ursachen haben. Von Chromosomenstörungen über Einzelgendefekte bis hin zu komplexen genetischen Faktoren – die Ursachen sind vielfältig.
Genetische Tests bieten die Möglichkeit, die Ursachen für die ungewollte Kinderlosigkeit zu identifizieren, das Risiko der Weitergabe an Nachkommen abzuschätzen und individuell über Behandlungsmöglichkeiten und assistierte Reproduktion zu beraten.