Ein unerfüllter Kinderwunsch kann sehr belastend für die Psyche sein. Es gibt aber Möglichkeiten, um damit besser umzugehen.
Key Facts
- Männer sind genauso häufig von Unfruchtbarkeit betroffen wie Frauen
- Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch neigen zu Depressionen und Angstgefühlen
- Männer reagieren dagegen öfter mit Distanzierung
- Setze Grenzen und vermeide eine Zeit lang den Kontakt mit frischgebackenen Eltern, wenn es dich zu sehr belastet
- Entspannungstechniken oder Yoga können helfen, besser mit der Situation umzugehen
Einleitung
Der Umgang mit einem unerfüllten Kinderwunsch kann sehr schwierig sein. Nicht selten fühlen sich Betroffene einsam und unverstanden, denn das Thema wird selten offen diskutiert. Dabei sind von Unfruchtbarkeit betroffene Paare gar nicht so selten, wie viele denken. In der Schweiz nehmen jedes Jahr rund 7'000 Paare eine Kinderwunschbehandlung in Anspruch. Von Unfruchtbarkeit betroffen zu sein, kann sich bei Paaren auf die psychische, emotionale und soziale Gesundheit auswirken.
In diesem Artikel werfen wir einen Blick darauf, wie sich Unfruchtbarkeit auf die Psyche auswirken kann, und listen einige Bewältigungsstrategien auf, die helfen können, besser damit umzugehen.
Mögliche psychologische Auswirkungen von Unfruchtbarkeit
Viele Menschen haben den Wunsch, Eltern zu werden. Wenn der Schwangerschaftstest dann wiederholt negativ ausfällt, kann dies bei Paaren grosse Auswirkungen auf emotionaler und psychologischer Ebene haben. Wenn ein Paar nach einem Jahr des regelmässigen, ungeschützten Geschlechtsverkehrs noch Kind zeugen konnten, spricht man von einer Unfruchtbarkeit.
Die Ursachen für weibliche und männliche Unfruchtbarkeit können vielfältig sein und bei beiden Partnern gleichermassen liegen. In manchen Fällen bleibt die Unfruchtbarkeit ungeklärt. Ein unerfüllter Kinderwunsch kann bei beiden Partnern auf verschieden Ebenen Auswirkungen haben. Wir haben einen Überblick darüber geschaffen, wie Unfruchtbarkeit unser emotionales Wohlbefinden, unsere Beziehungen und unser leben insgesamt beeinflussen kann.
Emotionaler Stress
Wenn eine Einzelperson oder ein Paar Schwierigkeiten hat, schwanger zu werden oder Unfruchtbarkeit diagnostiziert bekommt, kann es zu emotionalem Stress kommen.
Laut einer Studie neigen Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch eher zu Anzeichen von Depression und Ängsten. Diese Gefühle stehen auch mit dem Alter, sozialen Sorgen, Beziehungsstress und finanziellen Sorgen (zum Beispiel aufgrund einer Fruchtbarkeitsbehandlung) in direktem Zusammenhang. Aber auch bei Männern mit Fruchtbarkeitsproblemen ist ein erhöhtes Stresslevel häufig.
Laut einer Studie unterscheiden sich Männer und Frauen leicht in ihren Bewältigungsstrategien, wenn sie mit Unfruchtbarkeit und den dadurch ausgelösten Stress in Berührung kommen. Frauen neigen eher dazu, proaktiv etwas zu unternehmen, Verantwortung zu übernehmen und sich Unterstützung zu suchen.
Männer hingegen setzen vermehrt auf die emotionale Distanzierung, Selbstkontrolle und planvolles Problemlösen. Es stellte sich heraus, dass bei beiden Geschlechtern eine vermeidenden Haltung, also das sich nicht mit der Situation auseinandersetzen wollen, mit erhöhtem Stress in Verbindung stand. Zu einem geringeren Stressempfinden führte hingegen die Inanspruchnahme von Unterstützung, der Versuch aktiv etwas zu unternehmen, um die Situation zu ändern, sowie die emotionale Distanzierung.
Für viele bleibt es ein einsamer Kampf, denn obwohl Unfruchtbarkeit relativ häufig vorkommt, ist sie immer noch ein Tabuthema, über das selten gesprochen wird. Mit Unfruchtbarkeit konfrontiert zu werden, kann zu Scham- und Schuldgefühlen und einem geringen Selbstwertgefühl führen.
Druck von Aussen
Paare oder Personen, die ungewollt kinderlos sind, können sich unter Druck gesetzt fühlen. Dies kann mit persönlichen Zielen oder mit äusseren Faktoren, wie den Erwartungen von Verwandten und Freunden, zusammenhängen. Das Gefühl, dass ihr euch in einem Lebensabschnitt befindet, in dem von euch erwartet wird, dass ihr ein Kind bekommt, kann Stress verursachen.
Ausserdem kann es schwierig sein, damit umzugehen, wenn andere in deinem Umfeld Kinder bekommen. Zu sehen, wie andere Eltern werden, kann dazu führen, dass du Eifersucht, Wut oder Traurigkeit empfindest. Egal, ob du Freunde mit einem Neugeborenen besuchst, jemanden auf der Strasse mit einem Baby siehst oder jemanden folgst, der in den sozialen Medien über sein Kind spricht - deine emotionale Reaktion ist berechtigt.
Kontrollverlust
Viele planen ihr Leben gerne im Voraus. Leider ist nicht alles ist plan- und kontrollierbar und oft treten unvorhergesehene Ding ein. Auch über den eigenen Körper haben wir nicht die volle Kontrolle und ob und wann ein eine Schwangerschaft eintritt kann man meist nicht selbst bestimmen. Ein unerfüllter Kinderwunsch kann als Kontrollverlust empfunden werden und Stress auslösen.
Belastung für die Beziehung
Auch für die Beziehung eines Paares kann ein unerfüllter Kinderwunsch zu Belastungsprobe werden. Es kann vorkommen, dass sich die Partner – vor allem durch die Diagnose „Unfruchtbarkeit“ – unzureichend fühlen und Angst haben ihren Partner enttäuscht zu haben. Gefühle wie Traurigkeit, Frustration oder Wut können hochkommen. Oft ist es für den Partner schwierig die richtigen Worte zu finden, um den Anderen zu unterstützen und zu trösten, da er meistens auch selbst leidet.
Auch bei der Entscheidung, eine Fruchtbarkeitsbehandlung durchführen zu lassen oder wenn einer der Partner die Behandlung nicht mehr weiter machen möchte, kann es zu Spannungen zwischen den Partnern kommen. In solchen Situationen ist es besonders wichtig, dass das Paar ehrlich und offen miteinander kommuniziert und sich die gegenseitige Unterstützung gibt, die es braucht. Akzeptanz und Offenheit für die Gefühle des jeweils anderen stärken die Beziehung und helfen dem Paar durch diese herausfordernde Zeit.
Stress durch die Kinderwunschbehandlung
Entscheidet sich ein Paar eine Kinderwunschklinik aufzusuchen, um sich beraten und eventuell behandeln zu lassen, passiert auch das in den meisten Fällen nicht stressfrei. Neben der finanziellen Belastung, sind auch die psychologischen Folgen der Untersuchungen und Kinderwunschbehandlungen ein Stressrisiko. Erhaltene Diagnosen über körperliche Ursachen, wie Fertilitätsstörungen, einen gestörten Hormonhaushalt oder gar eine Fehlgeburt sind oft schwer zu verdauen. Die Planung von Tests und Behandlungen sowie die zweiwöchige Wartezeit nach einer assistierten Befruchtung (in der du noch nicht weisst ob die Befruchtung erfolgreich war) kann ebenfalls Stress verursachen.
Es ist besonders wichtig, dass Paare während der Untersuchungen und Behandlungen, wie zum Beispiel bei einer In-Vitro-Fertilisation (IVF), auch auf der emotionalen Ebene betreut und unterstützt werden. Viel Empathie und eine gute Aufklärung zu allen Behandlungsschritten ist notwendig.
In folgendem Video gibt Dr. Sarah Plack Tipps, wie du mit Neidgefühlen bei einem unerfüllten Kinderwunsch umgehen kannst:
Wie kann mit den psychischen Auswirkungen eines unerfüllten Kinderwunsches umgegangen werden?
Oft müssen ungewollt kinderlose Paare eine breite Palette an Emotionen, wie Trauer, Scham, Frustration oder Schuldgefühlen bewältigen. Es ist wichtig zu verstehen, dass du nicht alleine bist und solche Emotionen häufig aufkommen. Folgende Möglichkeiten können hilfreich sein, um den Stress und die Ungewissheit besser zu bewältigen.
Nimm Beratung in Anspruch
In vielen Fällen kann eine Beratung durch einen qualifizierten Psychotherapeuten dazu beitragen, das Paar emotional zu unterstützen und bei der Bewältigung von Stress und Ängsten helfen. Einer Metaanalyse aus dem Jahr 2015 zufolge geht die Inanspruchnahme psychosozialer Betreuung mit einer geringeren psychischen Belastung und besseren klinischen Schwangerschaftsraten einher. Viele Kinderwunschzentren bieten von Unfruchtbarkeit betroffenen Personen und Paaren individuelle Beratungsgespräche und psychologische Betreuung an. Gemeinsam können Strategien für einen besseren Umgang mit der Situation erarbeitet werden.
Eine Kinderwunschbehandlung kann eine sehr intensive Zeit sein – vor allem dann, wenn es mit der Schwangerschaft trotzdem nicht so schnell klappt wie gewünscht. Das stresst und kann zu Überforderung führen. Ein Therapeut kann dazu beitragen, die Belastungen zu reduzieren, indem es das Paar auf mögliche Herausforderungen vorbereitet und ihnen Techniken zur Stressbewältigung vermittelt. Die Beratung bereitet das Paar auch darauf vor, was passieren kann, wenn die Behandlungen nicht erfolgreich sind.
Es ist wichtig zu verstehen, dass eine unerfüllte Schwangerschaft nicht das Ende einer Beziehung oder eines glücklichen Lebens bedeutet. Ein Therapeut kann helfen, das Paar bei der Verarbeitung von Enttäuschungen zu unterstützen und ihnen Möglichkeiten aufzeigen, wie sie ihr Leben weiterhin erfüllt gestalten können.
Sprich darüber
Unfruchtbarkeit und ein unerfüllter Kinderwunsch können sehr belastend sein und es ist für Betroffene oft schwierig, darüber zu sprechen. Allerdings ist es wichtig, über diese Themen zu sprechen, weil es viele Menschen gibt, die ähnliche Erfahrungen machen.
Durch das Austauschen von Erfahrungen mit Freunden und Familie können sich Paare und Personen mit unerfülltem Kinderwunsch Unterstützung und Trost holen. Ausserdem kann mit dieser Offenheit dazu beigetragen werden, Missverständnisse und falsche Vorstellungen zu beseitigen. Oft wird nämlich davon ausgegangen, dass Unfruchtbarkeit vor allem auf die Frau zurückzuführen ist. Dabei trägt der Mann 50 % bei.
Gehen Betroffene offen mit dem Thema und ihren Problemen um, verstehen deren Mitmenschen sie besser, können emphatischer darauf reagieren und die Unterstützung geben, die gebraucht wird.
Schliesse dich einer Gruppe an
Es kann helfen, mit Menschen zu sprechen, die in einer ähnlichen Situationen sind und sich auszutauschen. Viele fühlen sich so weniger isoliert und allein gelassen. Laut einer Studie haben Gruppen, in dehnen offen miteinander über das Thema gesprochen wird, einen positiven Effekt auf das Stresslevel. Das Level des Stresshormons Cortisol war bei Frauen und Männern, die sich einer Gruppe angeschlossen haben, deutlich geringer, als jenes der Kontrollgruppe.
Ob Online oder bei persönlichen Treffen – gemeinsam geht vieles leichter. Selbsthilfegruppen gibt es in fast jeder Stadt und sie sind eine gute Möglichkeit, sich gegenseitig zu unterstützen.
Yoga und Meditation
Sich selbst etwas Gutes tun, wie Yoga und Meditation zu praktizieren kann positive Auswirkungen auf die psychische Verfassung haben. Yoga, Meditation und Atemübungen können das Wohlbefinden merklich steigern. Die Übungen helfen, den Geist zu beruhigen und Stress abzubauen. Dadurch kann der Cortisolspiegel (Stresshormon unseres Körpers) deutlich gesenkt werden und ein positives Körpergefühl gefördert werden.
Informiere dich durch Fachliteratur, Online-Ressourcen und Podcasts
Online und offline lassen sich jede Menge Informationen rund ums Thema Kinderwunsch heranziehen, die Paaren mit Kinderwunsch helfen können, mit der Situation besser umzugehen. Fachliteratur und wissenschaftliche Artikel sind eine gute Möglichkeit, um mehr über die medizinischen und emotionalen Aspekte eines unerfüllten Kinderwunsches zu erfahren. Wissenschaftlich belegte Informationen über Ursachen, Diagnose, Behandlungsmöglichkeiten wie beispielsweise eine künstliche Befruchtung oder Inseminationen, sowie den psychosozialen Aspekten können viele Unklarheiten aus dem Weg räumen.
Auch Foren und Internetseiten, die von Experten betrieben werden, sind eine gute Informationsquelle für Information. Hier können sich Betroffene austauschen, Fragen stellen, Unterstützung finden und Zugang zu hilfreichen Ressourcen finden. Podcasts sind ebenfalls eine Möglichkeit, sich mit dem Thema Kinderwunsch auseinanderzusetzen. Es gibt viele Podcasts, die sich speziell auf Fragen rund um das Thema konzentrieren und Experteninterviews sowie Erfahrungsberichte von Betroffenen beinhalten.
Setze Grenzen
Wenn du merkst, dass dich die nicht eintreten wollende Schwangerschaft sehr belastet, fange an Grenzen zu setzen. Teile Freunden, die gerade Elternglück erleben dürfen mit, dass du traurig bist und bitte um Verständnis, wenn du dir gerade weniger Kontakt wünscht. Es kann auch hilfreich sein, Inhalte in den sozialen Netzwerken zu blockieren, die negative Gefühle in dir hochkommen lassen.
Mach was dich glücklich macht
Versuche mehr davon zu machen, was dich glücklich macht. Gehe deinen Leidenschaften und Hobbys nach, probiere neue Dinge aus und verbringe Zeit mit Menschen, die dir gut tun. Das zu machen, was dich und deine Tage erfüllt, ist ein natürlicher Mood-Booster und verhilft zu einem positiven Mindset.
Unsere Empfehlung für dich
Stimmt es wirklich, dass man nur den Kopf ausschalten muss, um schwanger zu werden? Im Podcast mit Reproduktionsmediziner Dr. Heribert Kentenich erfährst du, welche Rolle die Psyche beim Kinderwunsch spielt.
Fazit
Ein unerfüllter Kinderwunsch kann sehr belastend sein. Von Gefühlen der Trauer und des Verlustes bis hin zu Ängsten und Depression — die Auswirkungen auf die Psyche können vielfältig und unterschiedlich stark sein. Für viele ist es schwer, mit diesem Kontrollverlust umzugehen, die Beziehung des Paares kann leiden, Fruchtbarkeitsbehandlungen können belastend sein und Alltagssituationen (wie Freunde mit Kindern treffen) können sich schwierig anfühlen.
Je nach individueller Situation, kann es dir helfen, Unterstützung zu suchen. Eine Beratung durch einen qualifizierten Therapeuten kann dazu beitragen, emotionale Herausforderungen zu bewältigen, die mit einem unerfüllten Kinderwunsch einhergehen, und dein Wohlbefinden sowie das deines Partners wieder zu stärken. Unterstützung von Familie und Freunden, Selbsthilfegruppen, dich ausreichend über das Thema zu informieren und Entspannungsübungen können ebenfalls helfen.